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18.05.2020

Neue Wälder braucht das Land! Aber wie kann das gehen?

Forstämter und Naturschutzbehörde des Landkreises Vorpommern-Rügen trafen sich zu einer Arbeitstagung in Grimmen

Weniger als ein Viertel der Fläche Mecklenburg-Vorpommerns ist bewaldet. Mit 24 % liegt das nordöstlichste Bundesland weit unter dem Bundesdurchschnitt (32 %) und ist zusammen mit Schleswig-Holstein Schlusslicht der Republik. Besonders waldarm sind die Landkreise Nordwestmecklenburg (14 %), Rostock und Vorpommern-Rügen (je 19 %).

Die wirksamsten Maßnahmen für mehr Klimaschutz im Land sind die Renaturierung der vielen entwässerten Moore und die Neuanlage von Wald. Bereits im Landeswaldprogramm von 2016 ist festgelegt: um mindestens 1.000 Hektar pro Jahr soll die Waldfläche in M-V wachsen. Dies gilt als Konsens der waldpolitisch interessierten Zivilgesellschaft, waren doch über 30 Verbände, Vereine und Institutionen an diesem Programm beteiligt – darunter Naturschutz, Bauernverband, Kultur und Tourismus.

Doch die Realität ist ernüchternd. In den letzten 15 Jahren ist die jährliche Waldmehrung immer weiter gesunken. Im Jahr 2019 waren es nur noch 98 Hektar neuer Wald im ganzen Land, kaum 10 % der Zielmarke.

Und dabei bedeutet neuer Wald nur Vorteile für alle. Er bindet Kohlenstoff im Holz, mit dem man sowohl CO2-neutral heizen als auch klimaschädliche Baustoffe ersetzen kann, er filtert das Wasser, ist Erholungs-, Ruhe- und Abenteuerort für jedermann und letzter Rückzugsort für viele waldgebundene Pflanzen- und Tierarten. Eine vom Planungsverband Vorpommern in Auftrag gegebene umfangreiche Studie zum Topthema „Grundwassernutzung im Klimawandel“ ermittelte aktuell einen gesellschaftlichen Nutzen von wenigstens 3.000 – 10.000 Euro jährlich durch jeden Hektar neuen Wald.

Die Flächenkonkurrenz ist groß. Nur wenige Landwirte konnten sich bisher vorstellen, auf Acker- oder Grünlandfläche zugunsten von mehr Wald zu verzichten. Agrarnutzung ist ökonomisch nach wie vor um ein Vielfaches attraktiver und Waldgehölze in der freien Fläche oft hinderlich bei der Bewirtschaftung großer Schläge. Staatliche Förderung für die Neuanlage von Wald war bisher wenig interessant und wurde zuletzt kaum noch in Anspruch genommen.

Und wenn sich ein Flächeneigentümer doch zu einer Erstaufforstung durchringen konnte, scheiterte der Antrag vielerorts an einem „nicht herzustellenden Einvernehmen mit der Naturschutzbehörde“. Wie geht das zusammen? Viele Offenland-Flächen sind aus Naturschutzsicht wertvoll: sie sind Rastgebiete für Gänse und Kraniche, Nahrungsgebiete für Weißstorch und Schreiadler, sind Lebensraum für seltene Tier- und Pflanzenarten und sollen daher erhalten werden. Am Ende bleiben nur wenige Flächen übrig für neuen Wald.

Könnte sich das aus Klimaschutzsicht so wichtige Großprojekt „Neue Wälder für mehr Kohlenstoffbindung“ auf diese Weise ähnlich enttäuschend entwickeln wie der Ausbau der Windenergie? Forst- und Umweltminister Backhaus hat sich deutlich für mehr Wald ausgesprochen und sieht die Neuwaldbildung als wichtiges Instrument im Kampf gegen den Klimawandel. Mit diesem Rückenwind ihres Fachministers starteten die Leiter der vier Forstämter im Landkreis Vorpommern-Rügen eine Initiative zum Austausch auf Fachebene und trafen sich zu einer Arbeitstagung mit den Mitarbeitern der Naturschutzbehörde. Ziel: wo gibt es noch Waldmehrungspotenzial, auch wenn alle Naturschutzaspekte beachtet werden? Wie kann man enger zusammenarbeiten, wo liegen Hemmnisse für die Neuwaldbildung, wo Chancen?

Am Ende des langen Diskussionsprozesses wurde deutlich: den Waldanteil schnell und spürbar zu erhöhen, ist schwierig. Dennoch ist dies aus fachlicher Sicht der Forst- und Naturschutzexperten das Gebot der Stunde. Die einzigen größeren Potenziale liegen im Bereich der jetzt intensiv genutzten Ackerflächen. Mehr Wald auf diesen Flächen wäre nicht nur gut für den Abbau von landwirtschaftlicher Überproduktion, sondern auch für die Verbesserung der Grundwasserqualität.

Hier bedarf es gemeinsam mit den Landwirten der Region eines intensiven Dialogs mit der Politik. Anders wird das gesamtgesellschaftlich längst vereinbarte 1.000-Hektar-Ziel kaum zu erreichen sein. Illusorisch scheint es keineswegs. Das zeigt ein Blick in die Geschichte Neuvorpommerns, das in etwa deckungsgleich mit dem preußischen Regierungsbezirk Stralsund (heute: Landkreis Vorpommern-Rügen plus Großraum Greifswald) ist. 1834 lag der Waldanteil dort bei gerade noch 17,4 %. Innerhalb von nur 50 Jahren wurde die Waldfläche im öffentlichen Eigentum um über 40 % erhöht. Damals war eines der Hauptmotive für dieses Aufforstungsprojekt die Beseitigung der Holznot.

Heute sind es Klimaschutz und Kampf gegen das Artensterben. Gute Gründe, so waren sich die Teilnehmer der Arbeitstagung einig, um einen neuen Anlauf für mehr Wald im Landkreis zu starten. Die Zeit drängt.