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24.11.2011

„Wenn wir alle, wie wir hier sitzen, unter den aktuellen Bedingungen der heutigen Sozialisierung aufgewachsenen wären. Wäre dann beruflich das Selbe aus uns geworden? Wir wissen es nicht. Eine interessante Frage. Der Kontext, in dem wir aufwachsen, macht uns zu Gewinnern oder Verlierern am Ausbildungs- und damit Berufsmarkt.“ so Prof. Dr. Werner Freigang von der Hochschule Neubrandenburg.


Auf der Fachtagung des Regionalen Übergangsmanagements Nordvorpommern im Recknitztal-Hotel Marlow sprach der Wissenschaftler darüber, welche Anforderungen Maßnahmen im Übergang von Schule zur Berufsausbildung erfüllen sollten/müssen, um wirklich bedarfsorientiert an den realen Lebensumständen der Jugendlichen anknüpfen zu können. „Die Lebenserfahrung vieler Jugendlicher ist Langzeitarbeitslosigkeit der Eltern. Zu viele haben Erfahrungen im Scheitern, im Verlassen werden und haben dadurch eine Hilflosigkeit erlernt. ’Ich bekomme sowieso nichts, egal wie ich mich anstrenge’, so die Sicht vieler“, sagte er. Nach seinen Erkenntnissen muss der Übergangsprozess und damit Maßnahmen der Berufsorientierung individuelle Coachingelemente enthalten und eine dauerhafte personelle Verlässlichkeit bieten. Nur so kann es gelingen, eine Offenheit bei Jugendlichen für ihre beruflichen Möglichkeiten zu erzeugen.

Die Koordinierungsstelle „LEUCHTTURM“ des Regionalen Übergangsmanagements Nordvorpommern hatte 385 Schülerinnen und Schüler der achten bis zwölften Klassen an neun Regionalen Schulen und Gymnasien in Nordvorpommern nach Berufsperspektiven und Wünschen befragt. Die Ergebnisse wurden auf dem Fachtag präsentiert. Überraschungen zeigten sich in der Auswertung. So spielen für die meisten Schülerinnen und Schüler die Eltern die wichtigste Rolle bei der Berufsorientierung. Dicht gefolgt von der Schule mit Berufspraktika und BIZ. Medien liegen abgeschlagen auf den hinteren Plätzen.

„Für einen späteren Beruf schätzen die Schülerinnen und Schüler schulische Leistungen als sehr wichtig ein und meinen, dass man mehr für die Schule tun müsse. Aber nicht einmal die Hälfte macht täglich Hausaufgaben. Zudem scheint es für die Schülerinnen und Schüler keine Perspektive zu sein, in den naturwissenschaftlichen Bereich zu gehen“, sagte Antje Post, Leiterin der Koordinierungsstelle.

Die sogenannten MINT-Fächer – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik – sind keine Lieblingsfächer. „Für mich unverständlich. Denn gerade hier haben Jugendliche große Chancen, weil viele Firmen Fachkräfte brauchen und suchen“, so Matthias Horn, Wirtschaftsförderer des Landkreises Vorpommern-Rügen. Er nahm ebenso wie Lothar Großklaus, stellvertretender Landrat, am Fachtag teil. Sie wollen die Arbeit der Koordinierungsstelle auf den gesamten Großkreis ausdehnen und die Ergebnisse für die Arbeit als Optionskommune nutzen.

Ein weiterer Aha-Effekt der Befragung: Die Schülerinnen und Schüler haben erkannt, dass Praktika für die Berufsorientierung nützlich sind. Wobei sie viele Verbesserungsvorschläge machten. So sollten Praktika länger sein und früher im Schulplan stehen. Durch die Befragung wurde auch festgestellt, dass Inhalte und Umsetzung der Berufsorientierung sehr von den Rahmenbedingungen der jeweiligen Einzelschule abhängen. Womit nicht alle Jugendlichen in Nordvorpommern dieselben Angebote nutzen können. Nicht jede Schule verfügt beispielsweise über Sozialarbeit oder eine Schülerfirma.

Antje Post: „Wir wollen Jugendlichen den Übergang von Schule zu Beruf erleichtern. Dazu müssen wir aber erst einmal genau hinsehen, wie die Situation der jungen Menschen ist, was sie wissen wollen und selbst wissen.“ Die Koordinierungsstelle ist angetreten, um Kräfte im Bereich Berufsorientierung zu bündeln. „Wir haben noch viele Fragen. So gibt es viele, die sich um Jugendliche in der Ausbildung kümmern, trotzdem bricht ein Viertel die Ausbildung ab. Oder weil wir uns zu viel kümmern“, so Matthias Horn. Das Projekt des Regionalen Übergangsmanagements ist Teil des Programms „Perspektive Berufsabschluss“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Für das Leuchtturmteam, das auf Dialog setzt, sind die Ergebnisse der Schülerinnen- und Schülerbefragung Grundlage für die weitere Diskussion mit allen Akteuren der Berufsorientierung. Bereits auf dem Fachtag wurde in vier Arbeitsgruppen miteinander gesprochen. Die Themen: Anforderungen an bedarfsorientierte Maßnahmen, praktische Umsetzung der neuen Berufsorientierungsrichtlinie, Besonderheiten im ländlichen Raum und ein unbeschwerter Start in eine Ausbildung. Eingeladen waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters, Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen, die sich mit Berufsorientierung befassen, Schulleiterinnen und Schulleiter, selbstständige Handwerker und Lehrlinge. Ihr Fazit: Die Ressourcen der Maßnahmen zur Berufsorientierung müssen besser vernetzt und transparenter gemacht werden, um sie besser nutzen zu können. Auch den Blick zur Seite wagen und nicht nur Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer sein. Orientierung muss dabei früher, unter Umständen bereits in der Grundschule beginnen, und nicht erst, wenn keine Lehrstelle gefunden wurde. Zudem muss eine politische Lösung im Bereich Mobilität von Schülern und Auszubildenden für Praktika und Berufsschule her. Als direkter Auftrag für die Koordinierungsstelle wurde gefordert, dass die Situation an Berufsschulen zu erfassen und Berufsorientierungslehrerinnen und Lehrer mit Bildungs- und Jugendhilfeträgern ins Gespräch zu bringen.

Den Bericht der Schülerinnen- und Schülerbefragung können Sie unter Downloads herunterladen.

Bilder der Fachtagung finden Sie in der “Galerie“.

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