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Überwinterung geschützter Tierarten im Siedlungsbereich

Nur ein großes Nest auf dem bereiften Dach und einige halbkugelförmige Lehmnester am Giebel (in denen jetzt Sperlinge und andere Singvogelarten einen Schlafplatz finden) erinnern noch an die vom Klappern der Störche und Zwitschern der Rauchschwalben belebten Sommertage.

Beide Zugvogelarten sind längst schon im September aufgebrochen, den kalten, unwirtlichen Wintermonaten in unserer Heimat zu entfliehen. Ihr Flug ging über Spanien oder die Türkei bis nach Zentralafrika und dauerte mehrere Wochen. Einige Störche gelangten sogar bis zum Kap der guten Hoffnung in Südafrika.

Auf dem afrikanischen Kontinent finden die Vögel genügend Nahrung während unserer Wintermonate. Im darauffolgenden Frühjahr kehren sie wieder zu uns in ihre Brutgebiete zurück. Die Forscher vermuten, daß die Zugvögel auf der Nordhalbkugel brüten, da dort unter anderem die lange Lichtdauer von 16-18 Stunden pro Tag den Vögeln genügend Zeit zur Nahrungssuche für die erfolgreiche Aufzucht der Jungen bietet.

Wenn die Schwalbennester an oder in den Gebäuden vom Vorjahr erhalten bleiben, können Mehl- und Rauchschwalben zwei bis drei mal bei uns brüten, da Zeit für den Neubau gespart wird.

Von den fliegenden Säugetieren, den Fledermäusen, ziehen nur wenige Arten wie z.B. der Große Abendsegler im Herbst nach Südeuropa. Die meisten Arten überwintern hier in großen Kellern, alten Bunkern, Eiskellern und Kirchen, die eine relativ hohe Luftfeuchtigkeit und konstante Temperatur von wenigen Grad Celsius über Null aufweisen. Kopfunter in Mauerritzen, hinter abgeplatzten Innenputz oder hinter Grabplatten in unseren Kirchen hängend, verschlafen sie unter Absenkung der Körpertemperatur auf ca. 5 Grad Celsius und extremer Verringerung des Stoffwechsels die insektenarme, kalte Jahreszeit.

Wenn z. B. in Barth zur Weihnachtsmesse die Kirche warm wird und tiefe Orgelklänge die Luft vibrieren lassen, erwachen jedes Jahr einige Zwergfledermäuse aus dem Winterschlaf und flattern durch das Kirchenschiff. Wenig später, nachdem die Besucher gegangen sind, suchen die Tiere ihre Hangplätze auf und fallen wieder in die Winterstarre. Bei häufig wiederkehrenden Störungen, wie sie z. B. in Kellern vorkommen können, erwachen die Fledermäuse mehrmals und durch die erhöhte Stoffwechselaktivität werden die Fettspeicher der Tiere aufgebraucht. Die Überlebenschance der Tiere sinkt dramatisch, da zum Aufwachen im Frühjahr die Nahrungsreserve fehlt.

Das große papierne Nest der Hornissen, wo noch vor wenigen Wochen ein tiefes Brummen des regen Flugverkehrs einige Menschen erschauern ließ, ist jetzt verwaist. Die Arbeiterinnen des Hornissenvolkes, die eine Lebenszeit von nur 4 Wochen haben, sind bereits alle gestorben. Damit bricht der Insektenstaat jedes Jahr im Oktober zusammen. Nur die im Spätsommer geschlüpften und begatteten jungen Hornissenköniginnen überleben und verlassen das alte Nest, um in Höhlen dicker Bäume oder in Gebäuden zu überwintern.

Wird es im Frühjahr wieder wärmer, verlassen die überlebenden Königinnen ihre Winterresidenzen. Jede einzelne Königin beginnt mit dem Nestbau, legt Eier und gründet damit einen neuen Hofstaat. Nur selten wird das alte Nest aus dem vergangenen Jahr wieder bezogen.

Gleiches gilt für die einheimischen Hummeln, die ihre Nester oft in leeren Mausehöhlen im Grünland beziehen und ebenso wie die Hornissen unter Naturschutz stehen.

Nach dem Überwintern beginnt bei allen genannten Tierarten wieder ein neuer Lebensabschnitt. Nur wenn sie wieder ihre gewohnten Lebensräume vorfinden, werden sie auch zukünftig unsere Umgebung durch ihre Anwesenheit bereichern. Durch verständnisvolles Verhalten, durch Duldung oder durch Nisthilfen können wir alle zum Schutz dieser Arten und damit zum Naturreichtum unserer Heimat beitragen. 

Da die hier genannten Tierarten in der Bundesrepublik Deutschland auf Grund vieler Faktoren in ihrem Bestand gefährdet oder vom Aussterben bedroht sind, wurden auch von rechtlicher Seite Maßnahmen zu deren Schutz getroffen.

Gemäß § 44 des aktuellen Bundesnaturschutzgesetzes ist es nicht nur verboten, den Tieren nachzustellen, sie zu töten, zu fangen oder zu verletzen, sondern auch ihre Brut- und Wohnstätten zu zerstören. Insbesondere bei Sanierungsmaßnahmen an Gebäuden (z.B. Dach, Fassade, Keller) können schnell unbeabsichtigt Lebensräume geschützter Tierarten vernichtet werden. Ist zu erkennen, daß durch Bauarbeiten Tiere direkt oder durch Zerstörung ihrer Brut- und Wohnstätten geschädigt werden könnten, ist in jedem Fall der direkte Kontakt zur zuständigen unteren Naturschutzbehörde des Landkreises zu suchen. Verstöße gegen artenschutzrechtliche Vorschriften können mit empfindlichen Bußgeldern oder bei streng geschützten Tierarten, wie z.B. allen einheimischen Fledermäusen als Straftat geahndet werden.

Dr. Osterland / Landkreis Vorpommern-Rügen

07.10.2015